1. Worum geht es bei der DGUV Vorschrift 3?
Die DGUV Vorschrift 3 (DGUV V3) ist eine zentrale Regelung im deutschen Arbeitsschutzrecht. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, elektrische Anlagen und Betriebsmittel regelmäßig zu prüfen, um Stromunfälle, Brände oder Explosionen zu vermeiden. Die Vorschrift gilt branchenübergreifend und betrifft alle Betriebe, die elektrische Betriebsmittel nutzen. Dies bezieht sich sowohl auf ortsunveränderliche Geräte wie etwa fest installierte Maschinen, Produktionsstraßen oder auch Klimaanlagen, sowie auf ortsveränderliche Geräte wie Elektrowerkzeuge, Sägen oder Schweißgeräte. Die Prüfungen müssen von Elektrofachkräften oder befähigten Personen durchgeführt und sorgfältig dokumentiert werden.
Trotz ihrer Bedeutung steht die DGUV V3 im Kontext des aktuellen Diskurses über Bürokratieabbau zunehmend in der Kritik. Unternehmen bzw. Unternehmensverbände klagen über Belastungen durch zusätzliche Arbeitsaufwände und fordern Erleichterungen, während Arbeitsschutzexperten vor einem Sicherheitsverlust warnen.
2. Argumente für einen Bürokratieabbau bei der DGUV V3
Die Kritiker der DGUV V3 in ihrer jetzigen Form äußern meist eines oder mehrere der folgenden Argumente:
- Kosten- und Zeitersparnis für Unternehmen
- Wiederkehrende Prüfungen durch zertifizierte Prüfunternehmen verursachten laufende Kosten und binde personelle Ressourcen. Gerade bei häufig genutzten, aber technisch einfachen Geräten wie Kaffeemaschinen, Verlängerungskabeln oder Monitoren erschienen aufwendige Prüfverfahren überzogen. In vielen Betrieben müssten Mitarbeiter eigens geschult werden, nur um interne Prüfprotokolle korrekt auszufüllen – Zeit, die anderswo produktiver eingesetzt werden könnte.
- Fokus auf unternehmerische Kernaufgaben
- Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sähen sich durch die formalen Anforderungen stark belastet. Ein Handwerksbetrieb mit fünf Angestellten, der jährlich Dutzende Elektrowerkzeuge prüfen und dokumentieren muss, hätte einen unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand. Auch Start-ups und junge Tech-Unternehmen verlören wertvolle Innovationszeit, wenn Ressourcen für formale Prüfprozesse gebunden seien, statt in Produktentwicklung oder Kundenservice zu fließen.
- Unübersichtlichkeit und Regelungsdichte
- Die Vielzahl an DGUV-Vorschriften, Regeln und Informationen sei komplex und schwer zu durchdringen. Unternehmer und auch externe Dienstleister müssten sich mit sich überlappenden Vorschriften auseinandersetzen, etwa der DGUV V3, der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und den Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS). In der Praxis komme es häufig zu Unsicherheiten, etwa ob eine bestimmte Kaffeemaschine im Büro nun unter die regelmäßige Prüfpflicht fällt – und wenn ja, in welchem Intervall.
- Doppelte und redundante Anforderungen
- Die DGUV V3 veranlasse die Prüfung von Aspekten, die auch in anderen Regelwerken wie der Betriebssicherheitsverordnung enthalten sind. So könne es vorkommen, dass ein Gerät zuerst im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung bewertet und später noch einmal nach DGUV-Vorgaben geprüft werden müsse – mit nahezu identischen Prüfkriterien. Bei Großunternehmen mit eigenen internen Prüfabteilungen entstünde dadurch eine Bürokratie-Doppelstruktur, die unnötig Ressourcen binde.
- Modernisierungsbedarf
- Bestehende Regelungen wirkten teils überholt angesichts moderner Arbeitsmittel und digitaler Prozesse. etwa bei Cloud-basierten Arbeitsplatzlösungen oder im Homeoffice, wo Mitarbeitende mit firmeneigenen Laptops arbeiten, dies aber außerhalb des Betriebsstandorts. Die DGUV V3 berücksichtige solche hybriden Arbeitsformen nur unzureichend. Auch automatisierte Selbstprüfsysteme oder IoT-basierte Geräteüberwachung würden in der aktuellen Vorschrift nicht anerkannt, obwohl sie den Sicherheitsstandard erhöhen könnten.
- Geringer Nutzen bei hohem Aufwand
- Der formale Aufwand – z. B. die manuelle Dokumentation jeder einzelnen Prüfung – stünde nicht immer im Verhältnis zum tatsächlichen Sicherheitsgewinn. So müssten auch Geräte, die seit Jahren problemlos funktionieren und nur selten genutzt werden, regelmäßig kontrolliert werden – inklusive Prüfprotokoll und Ablage. Selbst Geräte mit eingebautem Selbsttest, wie moderne Server-Netzteile oder industrielle Stromschienen, seien von dieser Regelung nicht ausgenommen.
- Wettbewerbsnachteil international
- Die starke Regulierung führe laut Kritikern zu Standortnachteilen gegenüber weniger regulierten Auslandsmärkten. In Ländern wie den Niederlanden, Irland oder den USA seien Prüfpflichten teilweise freiwillig oder flexibler ausgestaltet, was insbesondere produzierenden Unternehmen eine kosteneffizientere Organisation erlaube. Deutsche Unternehmen hingegen müssten auch für neue Standorte im Ausland häufig doppelt prüfen – einmal für die deutsche Dokumentation und einmal für lokale Standards.
3. Argumente gegen einen Bürokratieabbau bei der DGUV V3
Dem gegenüber stehen freilich gewichtige Gegenargumente von Arbeitsschutzexperten:
- Schutz von Leben und Gesundheit
- Die Vorschrift basiert auf Erfahrungen aus echten Schadensfällen in Unternehmen und rettet nachweislich Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer. Elektrische Defekte sind eine häufige Ursache für Brände, Stromschläge oder technische Ausfälle – oft mit schweren oder sogar tödlichen Folgen. Ein Beispiel: Ein defekter Verlängerungsstecker in einer Werkstatt verursachte einen Schwelbrand, weil die Isolierung schadhaft war – bei einer Prüfung wäre der Schaden vermeidbar gewesen. Gerade in gefährdeten Bereichen wie Metallverarbeitung, Bau oder Logistik ist eine regelmäßige Prüfung daher essenziell.
- Rechtssicherheit für Unternehmen
- Klare Vorgaben schützen Unternehmer vor Haftungsrisiken und sorgen für Rechtssicherheit in Schadensfällen. Bei Arbeitsunfällen oder Bränden prüft die Berufsgenossenschaft, ob alle Sicherheitsauflagen eingehalten wurden. Kann keine gültige Prüfbescheinigung nachgewiesen werden, drohen Bußgelder, Regressforderungen oder im schlimmsten Fall sogar strafrechtliche Konsequenzen. Eine nachvollziehbare, dokumentierte Prüfung schützt nicht nur die Belegschaft, sondern auch das Unternehmen selbst – etwa bei Versicherungsfällen oder Gerichtsprozessen.
- Prävention spart langfristig Kosten
- Die Vermeidung eines einzigen Stromunfalls kann enorme Kosten sparen, sowohl für Unternehmen als auch für die Sozialkassen. Ein kurzer Stromausfall durch ein defektes Gerät kann eine ganze Produktionslinie lahmlegen und hohe Folgekosten verursachen. Im Vergleich dazu sind regelmäßige Prüfkosten – oft nur im zweistelligen Bereich pro Gerät – gut kalkulierbar. Auch Versicherungsprämien lassen sich durch nachweislich eingehaltene Sicherheitsvorgaben reduzieren, da das Risiko eines Schadens als niedriger eingestuft wird.
- Gelebter Arbeitsschutz statt Bürokratie
- Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen sind keine Schikane, sondern Grundpfeiler sicherer Arbeit. In vielen Betrieben ist die systematische Prüfung eine wertvolle Gelegenheit, Schwachstellen frühzeitig zu erkennen – etwa wenn ein Gerät auffällig oft repariert werden muss oder sich überdurchschnittlich erwärmt. Auch das sicherheitsbewusste Verhalten der Mitarbeitenden verbessert sich, wenn sie durch Prüfungen und begleitende Schulungen sensibilisiert werden. Arbeitsschutz ist also mehr als ein bürokratischer Akt – er ist Teil der Unternehmenskultur.
- Flexibilität durch Gefährdungsbeurteilung
- Die Prüfintervalle dürfen betriebsspezifisch angepasst werden, so dass sie den Betriebsablauf nur so stark behindern, wie es für die Betriebssicherheit notwendig ist – aber nicht darüber hinaus. Ein Unternehmen mit risikoarmen Büroarbeitsplätzen kann etwa längere Prüfintervalle festlegen als ein Industriebetrieb mit starker elektrischer Belastung. Diese Anpassbarkeit wird in der Praxis oft übersehen, bietet aber bereits heute mehr Flexibilität, als viele Kritiker annehmen. Wer die Gefährdungsbeurteilung ernst nimmt, kann so Zeit und Aufwand sparen, ohne Sicherheitslücken zu riskieren.
- Missverständnis: Bürokratieabbau vs. Deregulierung
- Weniger Dokumentation heißt nicht automatisch mehr Effizienz, sondern kann im Gegenteil Gefahren erhöhen. Ohne klare Nachweise ist im Schadensfall oft unklar, wer wofür verantwortlich war. Das kann langwierige interne Untersuchungen, juristische Auseinandersetzungen oder Versicherungsverzögerungen zur Folge haben. Besonders bei Subunternehmern, Leiharbeit oder wechselnden Projektteams ist eine saubere Dokumentation das Rückgrat jeder Sicherheitsstrategie – ohne sie bleibt vieles im Unklaren.
- Komplexere Arbeitswelt erfordert mehr Schutz, nicht weniger
- Neue Risiken wie Homeoffice, psychische Belastungen oder Automatisierung machen Anpassungen der Sicherheitsregeln notwendig – nicht ihre Abschaffung. In modernen Büroumgebungen gibt es oft viele mobile Arbeitsplätze mit wechselndem Equipment, was zusätzliche Gefahren birgt, etwa durch ungesicherte Ladegeräte oder beschädigte Kabel. Auch vernetzte Maschinen in der Industrie 4.0 setzen ein besonders hohes Maß an Sicherheitsüberwachung voraus, da Fehler durch Software oder Stromversorgung komplexe Folgen haben können. Eine Reduktion der Prüfpflicht würde genau hier am falschen Ende sparen.
4. Wirtschaftliche Betrachtung: Prüfungskosten vs. Schadensfall
Beispielrechnung der Kosten für ein mittelständisches Unternehmen:
- 300 elektrische Betriebsmittel
- Prüfintervall: jährlich
- Kosten pro Prüfung (inkl. Dokumentation): 10 €
Jährliche Prüfungskosten: 300 × 10 € = 3.000 €
Gegenüberstellung möglicher Kosten durch einen Stromunfall eines ungeprüften Gerätes:
- Arbeits-/Produktionsausfall durch Maschinenstillstand
- Schadensbeseitigungskosten wie etwa Reparaturen
- Schadensersatzkosten bei entstandenen Schäden Dritter
- Versicherungskosten und Bußgelder
- Bindung von Kapazitäten
- nicht bezifferbare Personenschäden
Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zeigt, dass bei einer regelmäßigen DGUV-Prüfungen auf der einen Seite kalkulierbare direkte Prüfkosten sowie noch relativ leicht zu ermittelnde indirekte Aufwände stehen können, während auf der anderen Seite im Schadensfall weniger leicht zu beziffernde Kosten entstehen.
Neben den Prüfungskosten, die durch die regelmäßige Überprüfung der elektrischen Betriebsmittel anfallen, sind auch Faktoren wie Arbeitsausfall, Maschinenstillstand sowie ein erheblicher administrativer und koordinativer Aufwand zu berücksichtigen. Während die regelmäßigen Prüfungen planbare Aufwendungen darstellen, können im Schadensfall nicht nur gravierende direkte Kosten durch Produktionsausfälle, Reparaturen, Versicherungs-Selbstbeteiligungen und Bußgelder entstehen, sondern auch indirekte Kosten, die durch den Ausfall von Arbeitskräften und Maschinen zu weiteren wirtschaftlichen Einbußen führen, sowie auch hier die administrative Bewältigung wie etwa die Kommunikation mit etwaigen Versicherern. Letztlich unterstreicht diese Betrachtung, dass die Investition in regelmäßige und umfassende DGUV-Prüfungen angesichts der potenziell sehr hohen Schadensfälle – einschließlich der nicht bezifferbaren Personenschäden – wirtschaftlich sinnvoll ist.
Fazit: Die laufenden Prüfungskosten sind kalkulierbar und gering im Vergleich zum potenziellen Schaden durch ein Versäumnis.
5. Synthese: Moderne Lösungen statt Abschaffung
Die DGUV Vorschrift 3 ist ein unverzichtbares Instrument zur Vermeidung schwerer Arbeitsunfälle und zur Schaffung eines sicheren Arbeitsumfeldes, in dem die Mitarbeiter gefahrlos produktiv sein können. Eine vollständige Abschaffung wäre auch aus unternehmerischer Sicht kontraproduktiv: Haftungsfragen würden unklar, der Versicherungsschutz könnte entfallen, die Sicherheit würde leiden, Kapazitäten würden unnötig gebunden werden, wenn Gefahrenabwehr und Schadensregulierung nicht standardisiert abliefern..
Was braucht es also? Keine Deregulierung, sondern moderne Vereinfachung:
- Digitalisierung von Prüfprotokollen und Unterlagen
- Automatisierte Erinnerungen an Prüffristen
- Branchen-Tools zur Gefährdungsbeurteilung
- Musterformulare und Apps der Berufsgenossenschaften
Fazit: Die DGUV V3 sollte in ihrer Substanz erhalten bleiben – doch mit durchdachten digitalen Lösungen kann die Umsetzung für Unternehmen erheblich vereinfacht werden. Das sichert Leben, reduziert Risiken und senkt langfristig sogar Kosten.